Der Vorrang des Unterhalts minderjähriger Kinder gegenüber Ehegatten gilt auch im Mangelfall für das gesamte verfügbare Einkommen des Unterhaltspflichtigen und schließt den Splittingvorteil aus dessen neuer Ehe ein.
Der u. a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich mit grundlegenden Fragen des Kindesunterhaltsrechts zu befassen, die im Zusammenhang mit den am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen im Unterhaltsrecht größere Bedeutung erlangt haben. Zu entscheiden war über einen sog. Mangelfall. Das Einkommen des unterhaltspflichtigen Vaters reichte nicht aus, um den Unterhalt seiner Kinder aus erster Ehe, seiner geschiedenen Ehefrau und – nach Wiederverheiratung – auch seiner neuen Ehefrau sicherzustellen. Die erste Ehe war im Jahr 2001 geschieden worden. In der Folgezeit wurde der Unterhalt der geschiedenen Ehefrau und der drei Söhne (geb. 1990, 1994 und 1999) vom zuständigen Familiengericht zuletzt im Jahr 2003 festgesetzt. Weil das Einkommen des Unterhaltspflichtigen für den Unterhalt aller Berechtigter nicht ausreichte, lagen die festgesetzten Unterhaltsbeträge für die Kinder (58 € für den ältesten Sohn und 49 € bzw. 41 € für die beiden jüngeren Söhne) unterhalb des Existenzminimums. Die geschiedene Ehefrau und die drei Söhne verlangten eine Erhöhung des Unterhalts und machten geltend, dass frühere Kreditverbindlichkeiten des Unterhaltspflichtigen inzwischen weggefallen seien. Der Unterhaltspflichtige wandte sich dagegen und begehrte seinerseits den vollständigen Wegfall des Unterhalts. Er berief sich unter anderem darauf, dass er durch einen Arbeitsplatzwechsel und den Umzug zu seiner (jetzigen) Ehefrau nicht mehr leistungsfähig sei. Der Splittingvorteil aus der neuen Ehe (rund 250 €) könne nicht berücksichtigt werden, sondern sei mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der neuen Ehe vorzubehalten. Das Amtsgericht ordnete den vollständigen Wegfall des Unterhalts an. Das Oberlandesgericht verringerte den Unterhalt auf monatlich 20 € pro Kind. Es berücksichtigte das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nur insoweit, wie es sich – ohne Splittingvorteil – bei (fiktiver) Einzelveranlagung des Unterhaltspflichtigen ergeben würde. Der XII. Zivilsenat des BGH ist dem nicht gefolgt. Er hatte bereits in anderen Fallgestaltungen entschieden, dass der Unterhaltsbedarf eines Kindes unter Berücksichtigung des gesamten Einkommens seines Vaters einschließlich des in der neuen Ehe erzielten Splittingvorteils zu ermitteln ist. Im vorliegenden Fall war erstmals zu entscheiden, ob dieser Grundsatz auch in einem Mangelfall gilt, wenn der aus der Wiederverheiratung stammende Splittingvorteil vollständig für den vorrangigen Kindesunterhalt verbraucht wird. Das ist zu bejahen. Nach den am 1.1.2008 in Kraft getretenen Änderungen im Unterhaltsrecht steht der Kindesunterhalt minderjähriger Kinder gemäß § 1609 BGB an erster Rangstelle. Er ist somit allen anderen Unterhaltsansprüchen gegenüber vorrangig. Für den Einsatz des gesamten Einkommens des Unterhaltspflichtigen hat der XII. Zivilsenat eine schon seit dem Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 unverändert bestehende Gesetzesbestimmung (§ 1603 Abs. 2 S. 1 BGB) herangezogen, wonach Eltern im Mangelfall "alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden" haben (sog. gesteigerte Unterhaltspflicht). Aus dieser Vorschrift ist ursprünglich hergeleitet worden, dass der Unterhaltspflichtige mit seinen Kindern sogar "sein letztes Hemd" teilen müsse. Die Gesetzesbestimmung ist allerdings nach ständiger Rechtsprechung dahin einzuschränken, dass dem Unterhaltspflichtigen von seinem Einkommen so viel verbleiben muss, wie er benötigt, um sein eigenes Existenzminimum zu sichern (sog. notwendiger Selbstbehalt; derzeit für Erwerbstätige nach Anm. 5 der Düsseldorfer Tabelle 2008: 900 €). Der XII. Zivilsenat hat nunmehr klargestellt, dass das Einkommen, das über den Selbstbehalt hinausgeht, für den vorrangigen Kindesunterhalt vollständig zur Verfügung stehen muss. Ausnahmen nach dem jeweiligen Sinn und Zweck eines Einkommensbestandteils oder einer Steuervergünstigung sind entgegen der Annahme des Oberlandesgerichts regelmäßig nicht veranlasst. Zur Begründung hat er vor allem darauf Bezug genommen, dass das Gesetz eine solche Einschränkung nicht vorsieht. Zum Vergleich hat er auf einzelne sozialrechtliche Vorschriften verwiesen, welche zwar Ausnahmen von der Einkommensanrechnung vorsehen, für die gesteigerte Unterhaltspflicht aber dennoch dem Existenzminimum der Kinder ein höheres Gewicht zumessen. Eine gesonderte unterhaltsrechtliche Zuweisung des Einkommensbestandteils an den neuen Ehegatten hat er demzufolge auch dann abgelehnt, wenn der Steuervorteil im Wesentlichen darauf beruht, dass der neue Ehegatte kein oder nur ein geringes steuerpflichtiges Einkommen erzielt und deswegen meistens unterhaltsbedürftig ist. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folge nichts anderes, weil diese sich nur auf das Verhältnis von erster und zweiter Ehe beziehe. Würde dagegen der Splittingvorteil ausschließlich für den neuen Ehegatten reserviert, so wirke sich dies auch zulasten der Kinder aus der neuen Ehe aus und liefe auf einen sachwidrigen Gegensatz von Ehe einerseits und Familie (Kinder) andererseits hinaus. Über die Verteilung des verfügbaren Einkommens entscheidet somit nicht dessen Zweckbestimmung im Einzelfall, sondern die in § 1609 BGB gesetzlich angeordnete und vorwiegend am Grad der Bedürftigkeit orientierte Rangfolge. Eine Einschränkung der Einkommensanrechnung ergibt sich nach dem Urteil allerdings dann, wenn der neue Ehegatte eigenes Einkommen erzielt und die Ehegatten – wie regelmäßig – die Steuerklassen III und V wählen. Dann verlagert sich wegen der ungünstigeren Steuerklasse V das Nettoeinkommen des weniger verdienenden Ehegatten auf den mehr verdienenden Unterhaltspflichtigen. In diesem Fall muss auch der neue Ehegatte einen seinem Eigeneinkommen entsprechenden Anteil am Splittingvorteil behalten. Urteil vom 17. September 2008 – XII ZR 72/06 Vorschriften: § 1603 BGB Leistungsfähigkeit (1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. (2) 1Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. 2Den minderjährigen unverheirateten Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. 3Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann. § 1609 BGB Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter Sind mehrere Unterhaltsberechtigte vorhanden und ist der Unterhaltspflichtige außerstande, allen Unterhalt zu gewähren, gilt folgende Rangfolge: 1.minderjährige unverheiratete Kinder und Kinder im Sinne des § 1603 Abs. 2 Satz 2, 2.Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind oder im Fall einer Scheidung wären, sowie Ehegatten und geschiedene Ehegatten bei einer Ehe von langer Dauer; bei der Feststellung einer Ehe von langer Dauer sind auch Nachteile im Sinne des § 1578b Abs. 1 Satz 2 und 3 zu berücksichtigen, 3.Ehegatten und geschiedene Ehegatten, die nicht unter Nummer 2 fallen, 4.Kinder, die nicht unter Nummer 1 fallen, 5.Enkelkinder und weitere Abkömmlinge, 6.Eltern, 7.weitere Verwandte der aufsteigenden Linie; unter ihnen gehen die Näheren den Entfernteren vor. § 1610 BGB Maß des Unterhalts (1) Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt). (2) Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung. Pressestelle des Bundesgerichtshofs